Reggae in Berlin

ANTHONY B in Berlin

 

Nur noch drei weitere deutsche Städte kamen mit Hamburg, Stuttgart und Dortmund in den Genuss der diesjährigen „The Real Revolutionary Tour“.

Organisiert wurde das Ganze dieses Mal von Contour, und selbst dessen Geschäftsführer Klaus Maack war im Berliner Kesselhaus mit am Start, um nach dem Rechten zu sehen. Obwohl Anthony B einer der gegenwärtig bekanntesten und besten Reggaekünstler ist, konnte man dieses Mal am Eingang etwas zu seiner Person nachlesen. Eine gute Idee, die man künftig konsequent und noch mehr außenwirksamer fortsetzen sollte.

Seit 1996 Anthony B-s Debütalbum „Real Revolutionary“ in der Reggaewelt einschlug sind 12 Jahre vergangen und im Durchschnitt jährlich zwei neue Alben herausgekommen. Hinzukommen noch viele Compilations und Singles, die von dieser Feststellung noch gar nicht eingenommen sind. Die Liste seiner Hits hat inzwischen eine beachtliche Länge erreicht und keine normale Stageshow kann eine ausreichende Auswahl aus diesem Katalog präsentieren. Mit im Gepäck hatte Anthony B sein soeben erschienenes Album „Life over Death“, welches beim Konzert erworben werden konnte.

 

 

Kurz ein paar Worte zum neuen Album:

Wie es Alben so meistens an sich haben, ist es eher selten, dass durchweg der Käufer zufrieden sein wird. Allerdings werden in diesem Fall die Erwartungen an einen Anthony B nur mit einigen wenigen Tunes erfüllt. Von den 18 Stücken des Albums gehen nur 6 Stücke in Richtung Reggae. Bedauernswerter Weise ist das Pulver des Albums schon nach Track Nr. 5 verschossen, als man sich gerade so richtig eingestimmt hat. Nach „In Time of Trouble“, „Whip Dem Jah Jah“, Titelsong „Life over Death“ und dem „Territory Remix“ gibt es leider keine Steigerung oder Fortsetzung mehr. Danach driftet Anthony B von der Rootslinie ab, streift Dancehall u.A., berührt teilweise sogar Pop und wird mit „Don´t Say“ auch ein wenig funkig. Der Rootsfan wird viele Stücke musikalisch schwer einordnen können und weitestgehend die Skip-Taste in Anspruch nehmen müssen. Etwas befremdlich auch, das Anthony B in mehreren Tunes seine einmalige Stimme elektronisch verfremden lässt, was nun wirklich nicht sein muss. Hoffentlich wird diese Idee künftig nicht noch weiter ausgebaut. Bei Track 8 – „Sleeping In The Rain“ mit Toots Hibbert und Track 13 – „(Not) Mr. Easy” kann man zwar noch einmal gut verweilen, aber es bleibt nach wie vor dabei, dass dieses Album mit nur 6 Titeln auskommen würde. Fazit: Der ganz große Wurf ist damit nicht gelungen. Es gibt bessere Alben von Anthony B. Die wenigen guten Stücke des Albums möchte man natürlich trotzdem auf keinen Fall missen, was letztendlich doch zur Kaufentscheidung führen dürfte.

Doch zurück zum Kesselhaus. Mit im Shop dieses Mal auch noch ein Album von Anthonys bekannten Bassist Ras Droppa. Das Album heißt „Just a little song“ und kann auch auf seiner Website www.rasdroppa.com angehört und erworben werden. An den Plattentellern arbeitet inzwischen DJ Perry und stimmt schon einmal die Massive auf den Abend ein. Das Kesselhaus ist nahezu ausgefüllt, aber die Gäste haben noch genügend Bewegungsfreiheit um Rangeleien zu vermeiden.

 

 

Ras Droppa ist es auch, der mit einem eigenen Song gegen 21:40 Uhr die Show endlich eröffnet.
Er hält sich nicht lange bei der Vorrede auf und kündigt kurz danach Anthony B an.

 

 

 

 

Aus den Boxen ertönt „Equal Rights And Justice“ und Anthony erscheint nach einigen Sätzen, unter großem Jubel, auf der Bühne. Wie gewohnt im Turbanlook und seinem obligatorischen Stock, der dieses Mal ein anderes schlichteres Aussehen hat. Erinnert man sich an die Show letztes Jahr beim Summerjam, als Anthony B notgedrungen mit einem Schlagzeugstick auftrat, könnte man denken, dass sein alter Stock abhanden gekommen ist. Turban und Jeans sind im Braunton gehalten und als Kontrast trägt er ein weißes Hemd mit kunstvollen roten Stickereien dazu. In der Gesäßtasche hat er ein Handtuch gesteckt, was fast bis auf den Boden reicht und bei bestimmten Bewegungen zum Teil der Bühnenshow wird. Anthony ist energiegeladen wie immer und liefert eine fantastische Bühnenshow ab, die mit zu den beeindruckendsten überhaupt gehört. Mimik und Gestik ist wieder einmal eine Augenweide, und ich kann mich nicht erinnern, dass Anthony B jemals auf der Bühne eine schlechte Show abgeliefert hätte. Auch die zwei mitgebrachten Tänzerrinnen haben sich zu nahezu jedem Stück andere Bewegungen ausgedacht und sind eine gelungene Bereicherung auf der Bühne.

 

Anthony B versteht es wie kein Anderer die Massive auf die Spitze zu treiben, um sie dann auch sofort wieder mit ruhigeren und besinnlicheren Stücken zu besänftigen. So ist immer gewährleistet, dass keiner der Fans unnötig austickt und jede Rangelei vor der Bühne bleibt somit unter Kontrolle. Einer der besten Kracher der Show ist wieder einmal „World A Reggae Music“, bei dem sogar die Getränkepappen neben den Boxen zum Hüpfen veranlasst werden. Ebenso genial natürlich „Waan Back“ oder auch „Waterpumpee“ (Seeed), was mir dieses Mal instrumental etwas abgewandelt vorkam und stellenweise ein wenig vom „World Jam“ („World A Reggae Music“) Riddim abbekommen haben dürfte. Einfach nicht zu übertreffen.

 

 

Anthony bringt weiterhin einen Querschnitt aus vielen seiner Alben und wechselt dabei mehrfach den Style, um alle Fanrichtungen bedienen zu können. Auch Stücke von seinem neuen Album wie „Whip Dem Jah Jah“ und „Life Over Death“ gehören zum Programm. Anthony zieht durch bis gegen 23:30 Uhr und macht zwischendurch nur zwei unbedeutende Verschnaufpausen, die gerade mal zum Durchatmen gereicht haben dürften. Respekt vor dieser Leistung, besonders wenn man noch an diese kräftezehrende Choreographie seines Bühnenprogramms denkt. Zum Ende der Show holt Anthony die Massive wieder mit etwas ruhigeren Stücken auf den Boden zurück, stellt die einzelnen Bandmitglieder vor und bedankt sich bei allen Beteiligten, die bei dieser Show mitgewirkt haben, zu denen auch das Publikum gehört. Sein besonderer Dank geht auch an den „Big Promoter“ Klaus Maack von Contour, der diese Tour mit ermöglicht hat.

Fazit: Wieder einmal ein sehr gelungener Auftritt von Anthony B, obwohl ich mir ein paar mehr Kracher vom Format eines „Rally Round“ gewünscht hätte, den ich schon seit einigen Konzerten vermisse. Aber wie schon eingangs festgestellt, hat die Hitliste eine extreme Länge erreicht, was die Auswahl auch für Anthony B nicht leicht machen dürfte. Nach der Show geht´s dann in´s Studio von IMMusic. Es ist noch eine Dubplate-Session mit Anthony B geplant. Puma (LP International) und Rasta Voice sind mit Anthonys Crew ins Hotel gefahren, um Anthony später ins Studio führen zu können. Im Studio bereitet man sich inzwischen auf die Session vor und feilt noch immer an den Texten herum die Anthony einsingen soll. Die Wartezeit zieht sich in die Länge. Anthony soll aber schon so gut wie unterwegs sein. Zwischendurch taucht Daddy Bantam (Daddy Yard Sound) im Studio auf und hat im Schlepptau einen Artist aus den Vereinigten Staaten, der sich I. Williams nennt und Möglichkeiten der Promotion für seine Musik sucht. Mal sehen, ob IMMusic etwas für ihn tun kann. Zumindest wird schon einmal eine Probeaufnahme gemacht. I. Williams ist zum ersten Mal in Deutschland und von der hiesigen Atmosphäre sichtlich erfreut. Mit im Gepäck hat er zwei Promotion CD-s, die sich „Love Roots Rock Move“ und „Voice of the Voiceless“ nennen. Leider ist ihm dabei ein Lapsus passiert, denn beide Scheiben sind die Gleichen und entsprechen nicht dem Cover von „Love Roots Rock Move“. I Williams hat offenbar eine Vorliebe für Sirenen, die nahezu in jedem Titel angekurbelt werden und auf Dauer schon etwas nervig werden können. Wenn die mitgebrachte Scheibe mit seinen 33 Stücken auch nur bei einem geringen Anteil von 3 Tracks die Vorstellung von Reggae erfüllt, könnte man mit dem richtigen Riddim und seiner Stimme, sicher etwas Erfolgversprechendes auf die Beine bringen.

Inzwischen sind schon ein paar Stunden vergangen, und es ist immer noch nicht klar, wo der Anthony nun bleibt. Puma und Rasta Voice schaffen es offenbar nicht Anthony B ins Studio zu bewegen. Im Studio macht sich langsam Hoffnungslosigkeit breit. Nach über drei Stunden Wartezeit dann die entscheidende Ansage von Citylock: „Entweder es geht jetzt los, oder wir blasen die Sache ab!“ Im Gegenzug kommt die Einladung ins Hotel. Nun dazu ist man eigentlich nicht vorbereitet und muss wieder umdisponieren. Jetzt geht alles ganz schnell. Die Riddims werden auf diverse Speicher gezogen. Es kommt zu Platzproblemen, da man darauf eben nicht vorbereitet war. Schnell noch das restliche Equipment gedanklich durchchecken, greifen und ab geht´s bei strömenden Regen in die fahrbaren Untersetzer und zum Hotel. Das entsprechende Hotelzimmer ist schnell gefunden. Puma und Rasta Voice sind mit Anthonys Engineer im Zimmer, der schon die Technik vorbereitet hat und nun die Riddims in den Rechner einspielt. Ein wenig später klopft es leise und Anthony B tritt mit übergezogener Kapuze und munterem Blick in den Raum. Alle sind erleichtert, dass es nun doch noch was mit der Session wird.

Phil von Citylock übernimmt wieder das Ruder und spricht mit Anthony die Plates durch. Anthony ist gut gelaunt, sehr gesprächig und noch voller Energie. Selbst im Zimmer scheint er von seiner Show nicht loszukommen und kann kaum an einer Stelle länger verweilen. Für uns ist es nahezu der zweite Teil der Show. Es dauert nicht lange und Anthonys Kapuze rutscht herunter, worauf sicher schon jeder gewartet hat. Ein seltener Anblick – Anthony ohne Turban und mit langen feinen Dreads. Anthony hat nicht einmal etwas dagegen, wenn man ihn so fotografieren oder filmen möchte. Mit Gram muss ich an die Show zurückdenken, wo man das Filmen verbot, weil angeblich der Anthony dies nicht möchte. Diese Erfahrung haben wir schon öfter gemacht, dass die Artists bei persönlicher Nachfrage eine völlig andere Entscheidung treffen. Anthony arbeitet alle gewünschten Dubplates zur vollen Begeisterung der Anwesenden ab. Anthonys Stimme ist noch völlig unverbraucht und vom Klang her nicht anders als auf der Bühne. Einfach beeindruckend. Als alle Plates im Kasten sind, hat der Engineer noch etwas Arbeit, um die Sachen übergabereif für die Sounds abzuspeichern. Anthony verlässt zu diesem Zeitpunkt noch nicht das Zimmer und macht weiter den Performer und Entertainer, dessen Energie nie zu Ende zu gehen scheint. Es redet nahezu nur Einer und das ist Anthony B – es gibt einfach kaum Platz für Zwischenfragen und niemand traut sich ihn zu unterbrechen. Sehen, hören und staunen – ist aber befriedigend genug für Alle. Unsere Fragen bleiben weitestgehend ungestellt und müssen auf eine andere Gelegenheit warten.

 

Gegen 5:00 Uhr am Morgen sind wir dann schließlich alle im Fahrtsuhl und Anthony verabschiedet sich. Nicht mehr lange, und der Tourbus wird schon wieder in Richtung Hamburg abfahren. Hoffen wir, dass die Zeit bis zum abendlichen Auftritt in Hamburg für Anthony B als Erholung ausreicht. Da sind wir allerdings guter Hoffnung, so wie wir ihn gerade erlebt haben, könnte es auch gleich weitergehen.

copyright by Text Peter Joachim

copyright by Fotos Peter Joachim

Mein besonderer Dank geht an das Management der Kulturbrauerei Berlin, Thorsten von Contour, Citylock, IMMusic und natürlich an Anthony B selbst, die mit zum Gelingen dieser Story beigetragen haben.

Interessenten für das Album „Life over Death“ und weitere, können sich unter Anderem bei www.irierecords.de umsehen.

 

Zum Veranstaltungskalender der Kulturbrauerei (Maschinenhaus, Kesselhaus usw.) gelangt Ihr über den Link: www.kesselhaus-berlin.de bzw. www.kulturbrauerei-berlin.de.

Infos zu künftigen Touren und Einzelauftritten unter der Regie von Contour findet

Ihr unter www.contour-music.de.

Interessenten für Dubplates sollten sich bei www.myspace.com/citylockdisco oder www.citylock.net umsehen oder sich bei dubplates@citylock.net melden.

Kontaktaufnahme zum Autor, Kritiken u.A. unter: ib-joachim@freenet.de.