Reggae in Berlin

Morgan Heritage

RiB: Zunächst einmal vielen Dank für Eure Interview-Bereitschaft. Ihr seid jetzt geraume Zeit durch die USA und Europa getourt. Wie war die Tour und was steht als Nächstes an?

MH: Alles lief prima, dank der Veröffentlichung unseres Albums, das seit dem 20. April 2015 in den USA und seit Anfang Juni in Europa draußen ist. Wir sind auf Tour gegangen, um dieses Album – es heißt „Strictly Roots“ weil sich gerade alles wieder um „Strictly Roots“ dreht – und die CTBC-Music Group zu promoten. CTBC steht für „Cool To Be Conscious“ und soll eine Bewegung, eine Mission zur Rettung unserer Generation. Du musst nicht religiös sein, um conscious zu sein, verstehst Du? Aber du musst lebendig und achtsam sein, um conscious zu leben, denn: It is cool, to be conscious! Deshalb haben wir im Juni eine Promo-Tour in Europa und Afrika gemacht und werden Ende 2015 und Anfang 2016 wieder in Afrika spielen, so Jah will. Alles dreht sich um „Strictly Roots“ und „Cool To Be Conscious“!


 

RiB: Wo wart Ihr bisher auf Eurer Afrika-Tour und wo werdet Ihr dort noch spielen?

MH: Vor ein paar Wochen waren wir schon in Nairobi, im Dezember 2015 werden wir in Malawi sein. Dann stehen Simbabwe, Tansania und Äthiopien auf dem Programm – also eine Reihe von Orten in Ostafrika ist bereit, Morgan Heritage zu sehen. Die haben lange darauf gewartet und wir freuen uns, dass es endlich klappt.


 

RiB: War das eine spezielle Erfahrung, durch Afrika zu touren oder habt Ihr etwas besonders Eindrucksvolles erlebt, dass Ihr erzählen möchtet?

Jede Show ist speziell! Alle Fans sind speziell, ohne sie gäbe es uns nicht. Also betrachten wir jede Show als einen speziellen Moment. Für uns ist das alles nicht selbstverständlich! Es ist uns egal, ob da ein Zuschauer oder Tausende sind – es ist immer speziell. Deshalb sorgen wir bei jedem einzelnen Auftritt dafür, dass die Leute kriegen, was sie wollen: die Musik, die Inspiration, die Liebe und die Vibes. Aber gleichzeitig geben uns die Leute eine Menge Energie, um das zu tun, was wir tun. Einer gibt dem anderen und wir danken Jah, dass wir in der Musik, diesem gemeinsamen Nenner, zusammen kommen können. Love & Unity!


 

RiB: Die letzten Jahre ist es ein bisschen ruhig um Euch gewesen…

MH: Ja, ziemlich. Wir haben alle an unseren jeweiligen Solo-Projekten gearbeitet und deshalb war Morgan Heritage ungefähr fünf Jahre auf Eis gelegt. Aber jetzt haben wir neues Album veröffentlicht und touren durch Afrika. Klar, wir waren leise aber jetzt sind wir LAUT! (Lachen)


 

RiB: Was habt Ihr in dieser Zeit für Inspirationen gehabt?

MH: Wir haben die Familie erweitert und mit verschiedenen Artists zusammengearbeitet, wie z.B. J Boog, der ein Produkt der Morgan Heritage-Family ist. Nachdem ich J Boog entdeckt und der Welt vorgestellt hatte, habe ich ihn mit Peetah* und dem Projekt als Songwriter zusammengebracht. 90 % von J Boogs Lyrics schreibt Peetah, denn wenn die Beiden zusammensitzen, entsteht da Magie! Das ist ein Produkt der Morgan Heritage-Family.

Unser Sohn Jemere Morgan und Omari Banks – das ist die Expansion unserer Familie. Es geht längst nicht mehr nur um Morgan Heritage, sondern um das „Cool To Be Conscious“-Movement. Das ist es, was die Zeit, in der es um uns ruhig war, hervorgebracht hat.

Außerdem haben wir natürlich an unseren Skills gefeilt, aber auch Kinder aufgezogen. Seit 2000/2001 waren wir ja einige Jahre ausschließlich am Touren. Irgendwann mussten wir das beenden, um uns um unsere Babys kümmern zu können und sie zur Schule zu schicken. Meine Schwester Una hat eine kleine Tochter und möchte ihr beibringen, eine Lady zu sein. Das ist der Grund, warum Una diesmal nicht dabei ist – sie möchte eine Mama sein, denn es ist „Cool to be conscious“!


 

RiB: Ich war überrascht, Euch in diesem neuen Style zu hören. Früher schien es Euch mehr um Spiritualität zu gehen, jetzt höre ich deutlich rockigere Töne. Ich höre da ganz verschiedene musikalische Stile, z.B. Dancehall…

MH: (lachen) Okay, pass auf, jetzt kommt ein bisschen Education (singt):

„For you have good inna your heart and you love all humanity / you are a child of Jah!“

Das ist brandneu. Wir adressieren die gleiche Spiritualität wie früher, betonen aber, dass Du eben nicht religiös sein musst, um conscious zu sein. Zu lange haben Leute die Religion gepusht. Wir pushen Consciousness und Spiritualität. Wenn Du die Energie spürst, die da ist, wenn wir „Haile I“ singen, dann ist das der Geist des Hochheiligen, Haile Selassie I. Äthiopien! Christliche Nation! Also, es ist immer noch da, Rasta!


 

RiB: Es ist nur so, ich habe Morgan Heritage nie zuvor wie heute Dancehall spielen gesehen. Ihr hattet heute sogar HipHop-Grooves im Programm!

MH: Das ist wahr! Sieh's mal so: Was Du da ausgemacht hast, ist die Neuerfindung von Morgan Heritage. Es ist unser Weg, uns mit der jungen Generation zu connecten. Wir nehmen diejenigen Sounds mit auf, welche die Kids heutzutage hören, um uns mit neuen Fans auf der ganzen Welt verbinden zu können. Also das hast Du 100 % korrekt gehört. Es kommt immer wieder zur Consciousness zurück: Light it up!


 

RiB: Es war spannend für uns, heute auf der Bühne von Euch Grüße an Vybz Kartel zu vernehmen, obwohl Ihr so derartig anders seid als Kartel.

MH: Es ist alles Kunst, verschiedene Formen von Kunst, verstehst Du? Nicht jeder Maler malt das gleiche Bild. Jeder Künstler hat eine andere Vision. Nuff Respect an Vybz Kartel, Beenie Man, Bounty Killer, Mavado und Künstler wie Chronixx, Protoje, Tarrus Riley! Wir zollen ihnen allen Respekt, denn jeder wird gebraucht in der musikalischen Arena.


 

RiB: Also ist Eure Musik eine universelle Message.

MH: Musik ist das Universum! Sounds, Riddims und die Musik – sie formen das Universum. Und dieses Universum hat kein Ende, also sollte es in der Musik keine Begrenzungen geben. Musik ist nur ein Ausdruck deiner selbst. Ein Ausdruck der Welt in Klängen, Tänzen und Spirit. Genau so frei und endlos wie das Universum ist auch die Musik. Deshalb fließen in die Musik von Morgan Heritage so viele verschiedene Inspirationen. Dennoch machen wir Roots Music, sind wir Rockers. Rockers bedeutet Reggae, der Dampf macht.


 

RiB: Wenn Ihr die globale Reggae-Szene betrachtet, habt Ihr den Eindruck, dass die Inspiration nur von Jamaika ausgeht oder es im globalen Rahmen eine gegenseitige Befruchtung gibt? Also könnte man sagen, Reggae wird zwar von Künstlern aus der ganzen Welt gespielt, ist aber jamaikanische Musik?

MH: Nein. Reggae wurde auf Jamaika erfunden, ist aber heutzutage zu etwas Globalem geworden. Reggae wurde auch nicht auf Jamaika allein für die Jamaikaner kreiert, sondern für die gesamte Welt. Und überall auf der Welt hat man Reggae aufgenommen und zu einem Teil der eigenen Kultur gemacht. Dadurch hat man in jeder Ecke der Welt seinen eigenen Einfluss, einen Teil des eigenen Lifestyles, der eigenen Kultur, der eigenen Musik in den Reggae einfließen lassen. Dadurch hast du in unterschiedlichen Teilen der Erde unterschiedliche Sorten von Reggae, sei es in Amerika, Europa, Afrika oder irgendwo anders – aber es ist immer noch Reggae Music. Eine Band aus Deutschland macht vielleicht Rock und eine Band aus Amerika auch. Es bleibt aber immer noch Rock-Musik. Warum sollte es sich bei Reggae in irgendeiner Weise anders verhalten oder Reggae, der aus einem anderen Teil der Welt kommt, als etwas Anderes als Reggae betrachtet werden? Reggae ist Reggae, egal wo er herkommt.

Du hast ja auch verschiedene Genres von Artists, die Reggae-Songs machen. John Legend hat einen Song mit Buju Banton aufgenommen, der von Super Dupes produziert wurde. Jasmin Solomon, eine RnB-Künstlerin, hat einen Reggae-Song gemacht – die erste Single, die sie überhaupt veröffentlicht hat, war ein Reggae-Song! No Doubt haben einen Reggae-Song gemacht. Wenn Du zu einer Dancehall- oder HipHop-Show gehst, ist das nicht notwendigerweise alles nur Dancehall oder nur HipHop. Wir alle teilen miteinander. Wie Peetah schon sagte: Reggae wurde in Jamaika geboren aber heute gibt es Reggae-Artists aus der ganzen Welt. Es gibt koreanische Reggae-Bands, koreanische Rastas!


 

RiB: Wird so etwas in Jamaika wahrgenommen?

MH: Nicht in dem Maße, wie es sein sollte. Natürlich, die Jamaikaner haben es erfunden und wollen dafür auch erinnert werden. Sie wollen nicht, dass irgendwer so tut, als hätte er oder sie es kreiert. Aber so lange die Leute eine Hommage an die Jamaikaner richten, Ihnen Respekt zollen, können sie natürlich auch Reggae repräsentieren.

Die globale Reggae Szene wird also in Jamaika keineswegs bekämpft, aber auch viel weniger promotet, als der lokale jamaikanische Reggae oder besser gesagt Dancehall. Denn die populäre Musik auf Jamaika ist Dancehall, während der Rest der Welt eher am traditionellen Reggae festhält.


 

RiB: Wenn ich mit Artists des sogenannten Roots-Revivals spreche …

MH (unterbricht empört): Revival? Es gibt kein Revival! Du kannst nur etwas wiederbeleben, wenn es im Sterben liegt. Ihr als Medien pusht diesen Begriff, verbreitet ihn massenhaft, aber wenn Ihr mit Artists, wie Protoje, Chronixx oder mit uns, Morgan Heritage, ein Interview macht und diesen Begriff benutzt, dann müssen wir Euch unterbrechen und sagen, wie es in Wirklichkeit ist. Es gibt kein Revival, Roots war nie tot! Warum fragt Ihr Medien danach, wenn Ihr wisst, dass es nicht wahr ist? IrieFM in Jamaika und Hot97 in New York pushen es, Medien aus aller Welt pushen es. Aber es macht gar keinen Sinn, die Frage nach einem Revival zu stellen!

Als wir 1999 unseren Durchbruch hatten und mit „Don't haffi dread“ tourten, hatte es auch schon einen Burning Spear gegeben. Aber niemand sprach damals in unserem Fall oder bei Luciano, Garnett Silk oder Israel Vibration von einer Wiedergeburt des Roots Reggae. Dann kamen Tarrus Riley, Richie Spice, Queen Ifrica – aber niemand bezeichnete das als Revival, oder?


 

RiB: Die Sache mit dem Revival kam doch aber, nachdem Dancehall groß geworden war.

MH: Dancehall war immer groß. Yellow Man, Shabba Ranks. Es war nur nicht in Europa groß. Aber Beenie Man und Sean Paul wurden Popstar Aber wir reden hier auch nicht nur über Europa oder Jamaika. Wir reden über die ganze Welt, 7 Milliarden Menschen. Warst Du je in Brasilien, Polynesien oder Tansania? Wenn in einem kleinen Teil der Welt Menschen glauben, dass Roots tot war, dann war er das nur für sie. Das bedeutet, sie unterschlagen Milliarden von Menschen, die an Reggae ihr Leben lang festgehalten haben. Als würden all diese Nationen, die an Reggae festgehalten haben, nicht existieren.


 

RiB: Es sind ja nicht nur die Medien, die von einem Roots-Revival sprechen, sondern auch neue Artists sprechen davon oder fassen sogar sich und ihre Musik unter diesen Begriff, so wie es z.B. Protoje oder Chronixx tun.

MH: Das mag sein, aber wenn ich Protoje oder Chronixx das nächste Mal sehe, würde ich ihnen sagen, dass sie falsch liegen. Es ist mir auch egal, was sie sagen, denn das ist nicht die Realität. Manchmal reden Leute auch einfach so daher. Nur weil irgendwelche Leute irgendetwas sagen, bedeutet das nicht, dass es automatisch wahr ist. Wenn sich jemand auf die Bühne stellt und sagt: „Satan ist mein Gott“, dann sagst Du doch auch, dass der verrückt ist. Und ich persönlich sage zu irgendwelchen Medien-Leuten, die etwas von einem Reggae-Revival erzählen, dass sie verrückt sind. Tell dem Peetah Morgan say dat!

Burning Spear, Queen Ifrica, Tony Rebel, Etana, Luciano, Capleton, Anthony B, Richie Spice, Tarrus Riley – alle fünf bis sieben Jahren kamen solche Artists nach oben. Respekt an Chronixx, Protoje und Kabaka Pyramid – aber sie können mir nicht erzählen, dass sie gekommen sind, etwas zu beleben, dass längst nicht gestorben war. Und das sind gebildete Leute! Die sollten diese Sache nicht zum Teil ihrer Selbst-Präsentation machen. Reggae-Musik war nie weg aus Europa, es gab immer eine Crowd für Reggae-Konzerte in Europa. Und die kommt jetzt zu Protoje und Chronixx, so wie sie vorher für die anderen gekommen ist. Gentleman und Alborosie haben Reggae gemacht, als auf Jamaika keiner mehr Reggae hören wollte. Warum sagt niemand, dass Gentleman und Alborosie Reggae wiederbelebt haben? Als in Jamaika alle nur Dancehall machen wollten, kamen hier Seeed und Alpha Blondy in Afrika groß raus. Diese Leute muss man doch respektieren! Come on, man! (lachen)


 

RiB: Ihr habt ein eigenes Label aufgemacht. Wie kam es dazu, dass Ihr VP verlassen habt?

MH: CTBC war ein Ergebnis unseres Comebacks. Als wir auf der Tour bemerkten, dass unser Publikum sich um zehn Jahre verjüngt hatte, stellten wir einfach fest: Das neue Cool ist es, conscious zu sein. Wir und unsere Musik waren auf einmal wie Studierende, die den Abschluss gemacht hatten. Die Zeit bei VP Records war für uns wie ein Studium. Unser Vater hatte uns über die Jahre unserer Karriere bereits das Musikgeschäft beigebracht und unsere Zeit bei VP, denen wir sehr dankbar sind, waren großartig, aber wir haben diese Universität nun abgeschlossen. Nun ist es Zeit für uns, zu zeigen, was wir gelernt haben. In der echten Welt benutzen Studierende, die ihr Examen gemacht haben, danach auch das, was sie gelernt haben.

Und VP ist stolz auf uns. Als wir mit dem Album in der ersten Woche in den Charts gelandet sind, haben sie zu uns gesagt: „Yeah, Ihr habt's geschafft!“

Stell Dir einen Karate-Meister vor, der seinen Schüler unterrichtet und ihm eines Tages sagt: „Du bist ein gelehriger Schüler gewesen“. So ungefähr hat sich das angefühlt (lachen). Und als wir bei i­-tunes auf Nummer eins gelandet sind, haben sie uns angerufen und gratuliert: „Wir sind stolz auf Euch!“ Und jetzt können wir als Label andere Artists unter Vertrag nehmen und ihnen zeigen, was wir gelernt haben.


 

RiB: Was wäre denn nach 20 Jahren im Bussiness Euer Rat an jüngere Artists?

MH: Das wichtigste, was wir Leuten mit auf den Weg geben können ist: Don't get high on your own supply. Das passiert häufig, du nimmst deinen Song auf und spielst ihn immer und immer wieder und führst ihn allen vor, weil du so begeistert bist. Das Problem daran ist, dass du dich wiederholst. Das kann man in verschiedenen Genres, wie HipHop, RnB, Reggae und Dancehall häufig beobachten. Beim nächsten Song denkst du nämlich: „Oh, der ist nicht so geil, wie der erste, denn er klingt anders“. Also die Gefahr ist, dass die Leute verlernen, sich zu entwickeln und stehen bleiben.

Die andere Sache ist die, dass du dein Handwerk beherrschen musst. Ich erinnere mich an Beenie Man, ich traf ihn 1999 auf dem Flughafen. Wir wollten ins Flugzeug und er war gerade gelandet. Aber just nach der Landung machte er sich auf, das nächste Flugzeug zum nächsten Gig zu nehmen.

Ich fragte ihn: „Yo Beenie, wie hältst Du das durch?“ Er antwortete: „Schlafen kann ich, wenn ich tot bin.“ Genau diese Attitüde, dieses Commitment brauchst du für Musik. Heutzutage klappen die Leute einfach ihren Laptop auf, starten den Track und fangen an zu tanzen. Aber du bist ein Artist! Das Kunstvolle und das Kreative an der Musik liegt am Boden. Wir müssen es wieder aufrichten also sage ich allen neuen Artists: Lernt ein Instrument! Studiert die Großen – Stevie Wonder, Elvis Presley – die Größen der Musik.


 

RiB: Strictly Roots! Vielen Dank für das Interview.

MH: Vielen Dank an Euch!


 

Interview: Annette Buschermöhle

Übersetzung: Filou


 

*Peter „Peetah“ Morgan – Leadsinger bei Morgan Heritage